"Tartaruga" 2006
am Asta Nunaat„Warum packst du deine Stirnlampe ein?“ – Christoph schaut verdutzt, denn Rogers Rucksack ist doch schon voll. „Ein Schweizer geht nie ohne Stirnlampe!“ erwidert Roger.
Nun hängen wir in der düsteren Wand und hören nur das Geklimper von Leiter und Karabinern. Der Lichtstrahl der Lampe wird immer schwächer – von wegen Mitternachtssonne – es ist Kuhnacht und am Standplatz erkennt man nicht einmal einen Mastwurf! Die dunklen Wolken und der dichte Nebel machen die sonst recht helle Juninacht stockduster.
„Andi“ hallt es aus der Wand, „ich glaube es regnet etwas weniger!“ Seit Tagen werden wir durchgeweicht und sehen unser Ziel nur ab und zu ´durch den Nebel scheinen. Trotzdem sind wir jetzt in der Wand, denn diese einmalige Chance wollen wir nutzen, das heißt, bei nachlassendem Regen sofort zu starten.
Die Bäuche sind voll, die Whiskyflasche leer und unsere Motivation versetzt Berge!
Im Hängestand baumelnd, fiebern Andi und Christoph frierend dem Ende des Wartens entgegen, während sich Roger scheinbar mühelos einen tropfnassen Riss hinauf kämpft. Doch plötzlich – seine unrhythmischen Bewegungen machen uns richtig Angst. Bloß kein Sturz!
Ein Klettersturz hier in Grönland würde fatale Folgen für das gesamte Team haben! Ein Blick hinunter in die gähnende Leere des sich unter uns entlang streckenden Gletschers, über die Schuttfelder bis hinunter zum Fjord, in dem Eisschollen treiben –wir sind mutterseelenallein in dieser menschenleeren Einöde. Einziges Transportmittel hin zur Zivilisation wären kleine, wacklige Fischerboote, die oft aber den Fjord wegen der Eisschollen gar nicht erst passieren können. Zudem sind wir hier ohne jeglichen Funkkontakt – und zu Fuß würde es Tage bis hin ins nächste Inuitdorf dauern....
Endlich surrt die Bohrmaschine – „Stand“! Eilig suchen wir sicheren Halt und arbeiten uns Meter für Meter, manchmal nur Zentimeter vorwärts. Unser vom Nieselregen durchweichter und vom Polarwind ausgekühlter Köper erreicht wieder Betriebstemperatur. Aber schon am nächsten Hängestand beginnt das Frieren von Neuem...
Wir warten, bis Roger wieder in der Leiter steht und mit dem nächsten Riss Freundschaft schließt. Die „friends“ sind aber zu klein – der Riss zu weit. Knie und Ellenbogen malträtieren nicht nur die neu geschlossene Liebesbeziehung, sondern auch sich selbst. Mit einem grässlichen, kratzendem Geräusch bewegt sich der Cliff, als Roger gerade die Bohrmaschine zu sich nach oben zieht. Die Position ist einfach zu unsicher – also Flucht nach oben – ein paar wacklige moves im glitschigen Riss bringen Roger auf einen kleinen Absatz - nicht größer als ein Bierdeckel, auf dem er einen sichern Stand findet.
Die Wand zieht sich, mehr als erwartet. Drei weitere Seillängen sind vergangen, und eigentlich müssten wir schon über 20 m über dem Gipfel stehen. Das Gelände wird zwar etwas leichter zu bewältigen, dafür aber umso heikler: Lose gestapelte Felsblöcke, die nur darauf warten, von uns einen Stoß in den Abgrund zu bekommen, scheinen ihrer Schwerkraft zu trotzen. Geschätzte drei Würfelzucker-Seillängen versperren uns dem Weg zum Gipfel und zu der lang ersehnten Sonne.
Ein letzter Boulder an glitschigen Flechten bringt uns nochmals ganz schön zum Schwitzen und endlich in die Sonne!
Unser Gipfelglück können wir erst nach einer Stunde Tiefschlaf unter den wärmenden Strahlen richtig fassen. Die raue arktische Welt hebt den Wert der paar Schönwettertage umso mehr.
„Astra Nunaat“ soll dieser Berg getauft werden, „Tartaruga“ die Route – die erste die auf ihn hinaufführt.
Infos zur Route:
- Dateien:
- Tartaruga-Christoph-Hainz.jpg601 K